MONETÄRE AUTONOMIE UND DAS ERSTE HALVENING

Wo werden Bitcoins gespeichert?

Kein Fort, kein Safe, kein Panzerwagen ist so sicher wie eine Bitcoin-Adresse. Um sie mit der Brute-Force-Methode zu knacken, muss man nach allem, was man weiß, die Energie mehrerer Sonnen verbrennen. Andere Angriffe sind nicht bekannt.

Bitcoin-Adressen sind nicht nur extrem sicher. Es gibt von ihnen auch genug für alle. Denn eine Bitcoin-Adresse, wie etwa 1JCe8z4jJVNXSjohjM4i9Hh813dLCNx2Sy, ist lediglich eine kryptographische Ableitung aus dem öffentlichen Teil eines Schlüsselpaars. Jede Wallet ist in der Lage, beliebig viele Schlüsselpaare zu generieren.

In manchen Wallets können Sie sich den privaten Schlüssel anzeigen lassen (viele verbergen sie der Sicherheit wegen, und nutzen andere Möglichkeiten für Backups). Sie können den Schlüssel dann ausdrucken, um Ihre Bitcoins schwarz auf weiß zu haben. Diese etwa 50 Zeichen lange Zeichenkombination – zum Beispiel L5JW94YJHRSxhqUmu6RwmTLiitkXGqFcjgztkbWB1EsXqTnwDism – ist alles, was Sie brauchen, um so viel Geld aufzubewahren, wie Sie wollen. Sie müssen sich dafür nirgendwo anmelden, sondern lediglich eines von vielen frei verfügbaren Programmen benutzen. Wenn Bitcoins irgendwo gespeichert werden, dann in diesen Zeichen. Wenn Sie sie ausgedruckt haben, können Sie die Festplatte formatieren oder den Computer in eine Müllpresse stecken. Sie besitzen weiterhin die Bitcoins, und niemand, der nicht den privaten Schlüssel hat, kann sie Ihnen wegnehmen.

Ein solcher Schlüssel kann riesige Vermögen aufbewahren. Auf der oben genannten Adresse liegen etwa 124.178 Bitcoin, was derzeit rund einer Milliarde Euro entspricht. Sie können das mit jedem beliebigen Blockexplorer nachprüfen. Wem diese aktuell reichste Adresse gehört, ist nicht bekannt, zumindest mir nicht.

Bitcoin verkörpert die größte vorstellbare monetäre Autonomie. Noch niemals in der Geschichte der Menschheit gab es die Möglichkeit, in so weitem hohem Ausmaß Herr seines Geldes zu sein.

Zypern: Das Geld auf der Bank gehört der Bank

Im Frühjahr 2013 zeigte sich in Zypern, wie weit die Banken davon entfernt sind, eine mit Bitcoin vergleichbare Autonomie zu gewähren. Die sogenannte Staatsschuldenkrise hatte den Inselstaat erreicht. Es kam wie so oft, etwa in Griechenland, Spanien, Portugal und Irland: Die Banken schlitterten in die Zahlungsunfähigkeit, aber weil sie zu groß waren, um scheitern zu dürfen, rettete die Regierung sie mit Steuergeldern und stellte dann fest, dass sie sich damit übernommen hatte. Die EU und, in diesem Fall, der IWF sprangen ein, um die zypriotische Regierung mit Notkrediten über Wasser zu halten.

Allerdings weicht die Geschichte auf Zypern in einem wesentlichen Punkt von der in den anderen Euro-Krisenstaaten ab: Die Kreditgeber bestanden darauf, dass sich die Kunden der Banken an der Rettungsaktion beteiligten. Noch während der Verhandlungen über das Abkommen ließ die Regierung die Banken schließen und blockierte größere elektronische Überweisungen. Anschließend erhielt sie ein Rettungspaket von 10 Milliarden Euro, von dem jedoch 6 Milliarden durch diejenigen Bankkunden aufgebracht werden mussten, die mehr als 100.000 Euro auf dem Konto hatten.

Es ist fairer, die Anleger für die Rettung der Banken bluten zu lassen, als die Steuerzahler zur Kasse zu zerren. Ohne Zweifel. Dennoch ist das Vorgehen verheerend. Es untergräbt das Vertrauen in Banken und in Geld im Allgemeinen. Das Geld gehört euch nicht, lautete die Botschaft, wenn Regierungen und Banken es wollen, nehmen sie es euch weg. Bitcoin als ein Instrument monetärer Autonomie könnte eine Versicherung gegen derartige Enteignungen sein.

Das spiegelte sich damals fast unmittelbar im Bitcoin-Preis wider. Als die Zypernkrise begann, betrug er 40 Dollar. Zwei Wochen später erreichte er 100 Dollar. Mehr als 20 Monate hatte der Kurs gebraucht, sein altes Hoch von 2011 wieder zu erreichen; doch nun waren die Bullen zurück. Endlich.

Ölpreisschock hoch zehn

Zypern war ein starker Impuls. Aber es war nicht der einzige Grund, weshalb sich im April 2013 eine neue Bitcoin-Blase aufblähte. Vielleicht war es noch nicht mal ein besonders wichtiger Grund.

Wesentlich entscheidender dürfte das erste Halvening gewesen sein. Sie erinnern sich an die kontrollierte Ausschüttung neuer Bitcoins: Alle 210.000 Blöcke halbiert sich die Förderrate. Am 29. November 2012 war es so weit. Bisher hatten die Miner 50 Bitcoins erhalten, wenn sie einen Block fanden, was etwa alle zehn Minuten geschieht. Nun bekamen sie nur noch 25 Bitcoins. Anstatt 7200 flossen nun am Tag nur noch 3600 neu erzeugte Bitcoins auf den Markt.

Denken Sie an die Ölpreiskrise. In den 1970ern kappte die OPEC die Förderrate von Rohöl um 5 Prozent. Da die Nachfrage gleich blieb oder sogar stieg, schnellte der bisher stabile Ölpreis von 3 auf 5 Dollar je Barrel. Ein Jahr später kostete er bereits zwölf Dollar. Dies war die Folge einer Verknappung um nur 5 Prozent. Was passierte erst, wenn man die Förderrate um 50 Prozent kürzte wie bei Bitcoin?

Zunächst passierte gar nichts. Die Märkte schienen das Ereignis zu ignorieren. Der Bitcoin-Preis blieb beim damaligen Kurs von etwa 13 Dollar. Die stoische Ruhe, mit der die Märkte eine so drastische Kürzung des Angebots aufnahmen, war bemerkenswert. Warum blieben sie bei Bitcoin so ruhig, während sie bei der Ölpreiskrise so heftig reagiert hatten? Es könnte daran liegen, dass der Schock mit Ansage geschah. Bitcoin ist, in dieser Hinsicht, ein einzigartiges Experiment, das beweist, dass Märkte selbst mit drastischen Änderungen von Angebot und Nachfrage sehr gut umgehen können, sofern diese angekündigt werden. Als das Halvening geschah, war es längst eingepreist. Möglicherweise hätten die Bitcoin-Märkte es ohne die Aussicht auf dieses Ereignis gar nicht geschafft, den Bärenmarkt zu verlassen.

Ohne Effekt blieb das Halvening jedoch nicht. Denn mittelfristig führte die Verknappung des Angebots zu einem beispiellosen Anstieg des Preises. Ob aber Zypern nun der Grund war oder nur Auslöser – einige Monate nach dem Halvening stürmte Bitcoin in die nächste Blase.

Die zweite Blase ($ 260)

Am 10. April 2013 erreichte der Bitcoin-Preis einen neuen Rekord von 260 Dollar. Wenn man bedenkt, dass er Anfang jenes Jahres noch bei 10 bis 15 Dollar lag, ist dieser Anstieg beachtlich.

Vitalik Buterin, ein damals 19-jähriger russischstämmiger Kanadier, der später als Chefentwickler der Kryptowährung Ethereum das wertvollste Wunderkind der Erde werden sollte, schrieb zu dieser Zeit noch für das Bitcoin Magazine. Akribisch schilderte er die Ereignisse jenes Tages:

„Am Mittwoch, den 10. April, um 12.00 Uhr erreichte der Preis ein neues Allzeithoch von 266 Dollar. Danach sank der Kurs langsam wieder. Nach einem Absacken auf 240 Dollar erholte er sich kurz auf 258 Dollar, rutschte aber rasch weiter abwärts. Nach vier Stunden war er auf 225 Dollar gefallen, nach fünf Stunden auf 200, und um 19.20 Uhr erreichte er ein Tief von 105 Dollar. Dann sprang er wieder für einige Minuten auf 203 Dollar.“ Der Kurs hüpfte wie ein Gummiball. Ab, auf, ab, auf, ab. Auf den Börsen wurde wie verrückt gehandelt, das Volumen überstieg alles bisher Dagewesene, viele Plattformen waren dem Ansturm nicht gewachsen.

Dann überschlugen sich die Ereignisse. Das Gerücht, Mark Karpeless’ Mt. Gox stehe unter einem sogenannten DdoS-Angriff, fegte durchs Internet. DdoS steht für Distributed Denial of Service, was meint, dass ein Hacker mit einem Netzwerk aus gekaperten Computern sein Opfer mit so vielen Anfragen überhäuft, dass die Server überlastet sind. Karpeless bestritt dies zunächst, erklärte kurz darauf jedoch, dass es nun doch einen solchen Angriff gebe. Er musste – wie auch die anderen Börsen – die Systeme herunterfahren. „Die Bitcoin-Ökonomie war bereits im Schockzustand. Der Ausfall der größten Börse, auf der etwa 60 Prozent des Handels stattfand, versetzte die Märkte in Panik. Die anderen Börsen – von denen viele ebenfalls abgeschaltet werden mussten, weil sie entweder durch DoS angegriffen wurden oder wegen der hohen Aktivität überlastet waren – konnten sich nicht einigen, was der richtige Preis war. Aber über eines bestand Konsens: Der Preis fiel.“